I have always been lucky.

Die TU Darmstadt und das Institut für Materialwissenschaft verabschieden Prof. Jürgen Rödel

09.07.2024 von

60 Promovierte, 13 Postdocs, sechs Habilitierte, mehr als 100 Studierende, die unter seinen Fittichen ihre Abschlussarbeit angefertigt haben, 18 Gastforschende mit Alexander-von-Humboldt-Stipendium und viele mehr. Jürgen Rödels 30-jährige Zeit als Professor der TU Darmstadt ließe sich auch anhand seiner immensen internationalen Bedeutsamkeit für ein ganzes Forschungsfeld, der vielen von ihm bekleideten Positionen mit hoher Strahlkraft, oder natürlich der ihm verliehenen renommierten Preise umreißen. In seiner Abschlussvorlesung am 27.06.2024 wurde allerdings klar, dass das wichtigste Charakteristikum der Person Rödel und seiner Karriere etwas ist, das Preisgelder und Impact-Faktoren nicht beziffern können: seine Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen und Talente zu fördern.

Jürgen Rödel hat die Materialwissenschaft in Deutschland mit aufgebaut und die Forschung an keramischen Werkstoffen weltweit bekannt gemacht.

Prof. Karsten Durst (Dekan des Fachbereichs Material- und Geowissenschaften)

Dennoch wurden natürlich auch die zählbaren Meilensteine der Karriere des Forschers Jürgen Rödel gewürdigt. So hob Prof. Karsten Durst, Dekan des Fachbereichs Material- und Geowissenschaften, in seiner Einführungsrede die Auszeichnung Rödels mit dem oft als deutschen Nobelpreis bezeichneten Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hervor. Diesen erhielt er 2009 für seine Verdienste in der Entwicklung bleifreier Piezokeramiken. Auch verwies Durst auf den Sonderforschungsbereich 595, den Rödel 2003 für den Fachbereich einwarb und als Sprecher leitete. Das Großprojekt, dass sich um die Erforschung der elektrischen Ermüdung in Funktionskeramiken drehte, war das erste seiner Art am noch jungen Fachbereich und wurde über zwölf Jahre von der DFG gefördert.

Jürgen Rödel hatte einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Technischen Universität Darmstadt.

Prof. Matthias Oechsner (Vizepräsident für Forschung der TU Darmstadt)

Prof. Matthias Oechsner, Vizepräsident für Forschung der TU Darmstadt und selbst Werkstoffwissenschaftler, schloss in seinem Grußwort zunächst mit beeindruckenden Zahlen an seinen Vorredner an: Rödel habe mit 393 Publikationen, die zusammen nahezu 35000-mal zitiert wurden, nicht nur viel, sondern vor allem qualitativ sehr hochwertig publiziert. Das bringe dem „sehr fähigen und enthusiastischem Wissenschaftler“ Rang 7 in der Liste der weltweit meist-zitierten Forschenden im Bereich der Funktionskeramiken ein.

Dann lenkte Oechsner das Augenmerk auf die Rolle Rödels für die TU Darmstadt. Rödel war von 2011 bis 2024 aktives Mitglied im Wissenschaftsrat der TU Darmstadt. Das Gremium berät das Präsidium in strategischen Fragen zur Ausrichtung der Forschungsaktivitäten. Dieses Mandat unterbrach Rödel im Zeitraum 2014 bis 2017, um nunmehr das Amt des Vizepräsidenten für Forschung auszufüllen. In den Jahren 2019 bis 2024 war Rödel Vertrauensdozent der DFG an der TU Darmstadt. In diesen und vielen weiteren ehrenamtlichen Tätigkeiten, auch außerhalb der TU Darmstadt, gab und gibt Rödel sein Wissen und seine Erfahrung aus vielen Jahrzehnten Spitzenforschung weiter, sodass andere davon profitieren können. Dazu sagte Rödel später: „Ich weiß wie man Anträge schreibt, aber vor allem weiß ich, wie man sie nicht schreibt.“ Der Vizepräsdient bilanzierte schließlich: „Was für eine großartige Karriere und was für ein enormer Einfluss nicht nur auf den wissenschaftlichen Fortschritt, sondern auch auf wissenschaftliche Einrichtungen, Akademien und Förderorganisationen – nicht zuletzt auf die TU Darmstadt.“

Ein Talent-Scout, ein Teambuilder und ein großer Unterstützer.

Prof. Karsten Albe

Der Laudator, Prof. Karsten Albe, langjähriger Kollege Rödels und dessen selbst-titulierter Nachfolger als „Stammesältester“ am Institut für Materialwissenschaft, betonte anschließend noch mal Rödels herausragende menschliche Stärken. Rödel sei wohlbekannt dafür, Menschen zusammenzubringen, Ideen auszutauschen und weiterzuentwickeln. Stets ermutige er seine Kolleg:innen, die Dinge ganz genau zu betrachten und zu hinterfragen, wie sie wirklich funktionieren. Albe charakterisierte Rödel als „Talent-Scout, Teambuilder und großen Unterstützer“ und betonte außerdem seine Vorbildfunktion auf dem wichtigen Gebiet der Wissenschaftskommunikation. Zum Ende seiner Rede trug Albe ein eigens verfasstes Gedicht für und über Rödel vor: „Der Bleifreie“.

Ich habe mich gegen den Rat meines Vaters mit sehr intelligenten Menschen umgeben.

Prof. Jürgen Rödel

Dann wurde Rödel – offiziell zum letzten Mal – ans Rednerpult gebeten. Er resümierte seine Karriere, in der er sich innerhalb des Forschungsgebiets Funktionskeramiken immer wieder neu erfand. Er teilte sein Schaffen in die vier nicht scharf voneinander abzugrenzenden Phasen „Sintern I“, „bleifreie Piezokeramiken“, „Versetzungen in Keramiken“ und „Sintern II (licht-basiertes Sintern)“ ein. In all diesen Bereichen kann Rödel herausragende Ergebnisse vorweisen. Dazu sagte er gewohnt nüchtern: „Wir haben einfach unsere eigenen Geräte gebaut und konnten dadurch Experimente durchführen, die sonst niemand durchführen konnte.“ Mit Blick auf seine Arbeiten zum mechanischen Werkstoffverhalten fügte er trocken hinzu: „Wir haben oft Dinge kaputt gemacht.“ Allerdings machte er vor allem deutlich, dass die Eckpfeiler seiner Laufbahn die Begegnungen mit Menschen waren und sind. Vor diesem Hintergrund ist auch der Titel seiner Abschlussvorlesung zu verstehen: „I’ve always been lucky.“ Allerdings verriet Rödel mit einem Augenzwinkern, dass er sich diese Begegnungen zumindest zum Anfang seiner Karriere hart erkämpfen musste: „Ich habe mich gegen den Rat meines Vaters mit sehr intelligenten Menschen umgeben.“

Meine größte Sorge ist die Tatsache, dass die Menschheit bereits sechs planetare Grenzen überschritten hat.

Prof. Jürgen Rödel

Rödel gab auch noch einen Ausblick auf das, womit er sich nun beschäftigen werde. Privat will er sich seinen Hobbies Wandern und Radfahren widmen. Sein wissenschaftliches Machwerk sieht er aber auch noch nicht als vollendet an. Hier will er sich vollständig auf das konzentrieren, was ihn auch privat umtreibt: Die Nachhaltigkeitskrise, die, wie er betonte, weit über die Klimakrise hinausgeht, sondern auch Aspekte wie z.B. die Integrität der Biosphäre, Ozeanversauerung oder Trinkwasserverfügbarkeit umfasst. In der jüngeren Vergangenheit wies Rödel in vielen Vorträgen auf die Dringlichkeit für nachhaltiges Handeln hin. Insbesondere mahnte er die Forschungs-Communities dazu, ihr jeweiliges Wissen über die Krisen und mögliche Lösungsansätze laut und unnachgiebig zu kommunizieren, aber auch selbst mit gutem Beispiel voranzugehen – etwa in Form eines nachhaltigen Laborbetriebs oder nachhaltig gestalteter Konferenzen. Vor diesem Hintergrund gründete Rödel Anfang des Jahres die International Alliance of Societies for a Sustainable Future (SFS). Nun wird er sein in den vergangenen Jahrzehnten aufgebautes Renommee dazu nutzen, die Allianz auszubauen.

Schon jetzt ist klar, dass das Schaffen des international angesehenen Materialwissenschaftlers nachwirken wird. Durch seine Forschungsergebnisse, seine Vorbildfunktion und – für Rödel selbst am wichtigsten – durch seine Schützlinge, von denen mehr als zwanzig mittlerweile selbst Professuren auf der ganzen Welt bekleiden.

Zur Person:

Jürgen Rödel studierte Werkstoffwissenschaften in Erlangen und Leeds, wurde 1988 an der University of California in Berkeley promoviert und habilitierte sich 1992 an der TU Hamburg-Harburg. 1993 wurde Rödel an die TU Darmstadt berufen, 1994 trat er die Stelle an. Als erst sechster Professor des Instituts für Materialwissenschaft gestaltete er dessen Aufbau entscheidend mit und prägt dessen Ausrichtung bis heute. Rödel ist einer der international führenden Köpfe in der Keramikforschung. Von dem renommierten Festkörperchemiker Prof. Wolfram Jägermann wurde er einst als „Ausrufezeichen der Materialwissenschaft“ bezeichnet.