Rückschau: Herausragende Leistungen beim 31. Erfinderlabor des ZFC

Oberstufenschüler_innen forschen in Darmstadt zur Energiewende / Teamwork auf hohem Niveau

23.05.2022 von

Schülerinnen bei der Arbeit beim Erfinderlabor 2022

Bensheim/Darmstadt. „Leider sind Technik und Erfinden keine Schulfächer“: Prof. Dr. Jens Schneider wünscht sich, dass kreatives Entwickeln und naturwissenschaftliche Praxis auf dem hessischen Lehrplan eine prominentere Rolle spielen würden. Denn der Vizepräsident der TU Darmstadt weiß, dass die großen Herausforderungen der Zukunft ohne engagierte Nachwuchsforscher kaum zu bewältigen sind. Umso mehr freute er sich über die 16 Oberstufenschüler*innen, die sich in der vergangenen Woche intensiv mit einem der elementaren Themen der nächsten Jahrzehnte beschäftigt haben: der Energiewende.

Es ging um nachhaltige Lösungen, alternative Technologien und innovative Konzepte für die Welt von morgen: beim 31. Erfinderlabor des Zentrums für Chemie (ZFC) waren auch diesmal wieder jeweils acht Ausnahmeschülerinnen und -Schüler aus ganz Hessen mit dabei, um im engen Dialog mit Wissenschaftlern im professionellen Umfeld zu experimentieren und ihre Ergebnisse dann verständlich und lebendig einem größeren Publikum zu präsentieren. Die Abschlussveranstaltung hatte am Freitag aufgrund der aktuellen Situation erneut im virtuellen Format stattgefunden. Doch auch auf der Online-Bühne machten die jungen Forscher eine hervorragende Figur.

Übertragen wurde das Finale aus dem Sitz des Unternehmerverbands Südhessen in Darmstadt. Die vier Tage zuvor verbrachten die Schüler*innen in den Laboren des Instituts für Materialwissenschaft an der TU Darmstadt, um sich in vier Teams mit anspruchsvollen wissenschaftlichen Komplexen zu beschäftigen.

Am Ende gab es das geballte Lob der Profis: Prof. Dr. Lambert Alff (Fachgebiet Dünne Schichten) betonte das hohe Niveau der Abschlusspräsentationen, Gregor Disson, Geschäftsführer vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Hessen war von der gelungenen Teamarbeit begeistert. „Das war eine straff organisierte Arbeitsteilung wie im industriellen Umfeld.“ Auch Tanja Scharnhoop von der Landesenergieagentur Hessen attestierte den bunt gemixten Arbeitsgruppen eine homogene Gemeinschaftsleistung: „Ihr habe euch hier erst kennengelernt, und habt doch mit einer Sprache gesprochen – der Sprache der Wissenschaft.“

ZFC-Vorstand Dr. Thomas Schneidermeier, der Erfinder des Erfinderlabors, verwies auf die enge inhaltliche Verbindung der eigenen Projekte mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (UN): „Das ZFC steht für Wissenstransfer und Nachhaltigkeit.“ Neben der thematischen Fokussierung gehe es bei dem Workshop darum, die Teilnehmer bei der Entwicklung einer indivi-duellen Bewertungskompetenz zu unterstützen. Dieser Ansatz spiegelt sich auch im neuen ZFC-Format „Frag die Minties“, bei dem Erklärvideos von den Studierenden und ehemaligen Erfinderlaborteilnehmer*innen Benjamin Kunkel, Selina Müller, Pablo del Rio und Joelina Gärtner im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) als Ergänzung zu den vom ZFC passgenau entwickelten Unterrichtssequenzen für Lehrer produziert werden.

„Ich erkenne heute ein wichtiges Zeichen der Zuversicht und der Inspiration“, so Dr. Thomas Eberle, der beim Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck in Darmstadt unter anderem für Bildungspartnerschaften im Bereich der Naturwissenschaften zuständig ist. In schwierigen Zeiten wie diesen mit einer andauernden Pandemie und einem folgenschweren Krieg in Osteuropa sei es umso wichtiger, dass sich die junge Generation mit grundsätzlichen Fragen für eine bessere Zukunft auseinandersetze, so Eberle, der selbst lange in der stark interdisziplinär geprägten Ma-terialforschung gearbeitet hat. Das Thema Nachhaltigkeit sei auch in den Wissenschaften allzu lange vernachlässigt worden. „Das holen wir heute nach. Zum Beispiel mit einem hervorragenden Format wie dem Erfinderlabor.“

Nicht nur die Experten aus Hochschule, Forschung und Wirtschaft waren mit dem Verlauf der Woche, dem Engagement der Teilnehmer*innen und ihren kurzweilig dar-gestellten Forschungsergebnissen sehr zufrieden. Auch die Schüler*innen selbst bilanzierten eine facettenreiche Zeit in den Darmstädter Laboren mit spannenden Ein-blicken in das Innenleben der modernen Wissenschaft, von denen sie auch in punkto Berufsorientierung profitiert haben. „Das Erfinderlabor hat mir die universitäre For-schung nähergebracht. Meine Perspektive heißt nun erst recht: Naturwissenschaft!“, so Jan Audretsch aus Marburg. Für Nicola Schmitz aus Kelkheim bleiben die Experimente auf hohem Leistungsniveau in guter Erinnerung. „Man hat den wissenschaftlichen Forschungsprozess in unmittelbarer Nähe miterlebt und mitgestaltet.“

Auch Lukas Pfingsten-Mensching aus Butzbach war positiv überrascht, dass die TU den Schüler*innen so viele Freiheiten beim eigenständigen Arbeiten und Raum für eigene Ideen ermöglicht. „Die Atmosphäre war von Beginn an angenehm“, so Charlotte Klodt aus Bad Vilbel. Doch auch das konzentrierte letzte Feilen an den Teamvorträgen am Abend vor der Abschlusspräsentation gehört zur traditionellen Dramaturgie des Erfinderlabors.

Denn die Themen hatten es in sich. Die Teams gingen der Frage nach, ob und wie sich Solarzellen selbst reinigen können, um mehr Energie zu erzeugen, oder wie die Batterie von morgen aussehen muss, um die Reichweiten zu erhöhen und so die Mobilitätswende voranzubringen. Auch die Rolle des Wasserstoffs als energetische Alternative wurde untersucht. Andere Schüler*innen verglichen klassische Klimaanlagen mit Varianten, die von rotierenden Magneten betrieben werden und ohne ökologisch problematisches chemisches Kältemittel auskommen. Fazit des Teams: Eine effiziente Technologie, die aber aufgrund ihrer aufwändigen Herstellung noch keine Ideallösung darstellt. Hier muss weiter geforscht werden. Aber auch der Bau eines Lithium-Ionen-Akkus gehörte zum kleinen Einmaleins der jungen Wissenschaftler, die auch einen prominenten jungen MINT-Kollegen überzeugt haben.

Jacob Beautemps will junge Menschen für die Naturwissenschaften begeistern. Da-mit war der Kölner beim Erfinderlabor goldrichtig. Seit 2018 steht der studierte Physiker für seinen YouTube-Kanal Breaking Lab vor der Kamera, wo er jeden Monat über 1,6 Millionen Videoaufrufe verzeichnet. „Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Wissen wird immer wertvoller, und Wissenschaftskommunikation ist ein Schlüssel für den Fortschritt.“ Von seinen überdurchschnittlich begabten jungen Kollegen war der 29-jährige Science-YouTuber und Forscher sehr beeindruckt: „Es ist stark, was ihr macht. Davor habe ich einen riesen Respekt!“

Flankiert wurde das umfangreiche Programm am Abschlusstag, das im virtuellen Studio von Dr. Joachim Brötz (TUD) moderiert wurde, von einer Gesprächsrunde zum Thema Berufs- und Studienorientierung. Der Geschäftsführer der Landesenergie-agentur (LEA) Hessen, Dr. Karsten McGovern, skizzierte die Karrierechancen im naturwissenschaftlich-technischen Umfeld und betonte, dass auch so mancher kurven-reiche Lebenslauf ans Ziel führen kann. Für die Wissenschaftlerin Dr. Stephanie Ganss, die unter anderem an organischen Leuchtdiode (OLED) forscht, waren die breit gefächerten Perspektiven und die internationale Ausrichtung des Unternehmens Merck die zentralen Gründe für ihre Berufsentscheidung. Christine Erb studiert am

Institut für Materialwissenschaft und rät angehenden Kommilitonen, ihre Leidenschaft für die MINT-Fächer im akademischen Kontext auszuleben und sich von der Komplexität des Studiums nicht unterkriegen zu lassen.

„Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet auch Scheitern und Neubeginn“, so Gregor Disson, der für den VCI das Erfinderlabor schon seit vielen Jahren begleitet und unterstützt. ZFC-Vorstand Dr. Thomas Schneidermeier dankte allen Sponsoren und Kooperationspartnern für die Unterstützung des Workshops, der seit 2005 einen konstant hohen Zuspruch erlebt. Die alternativen Formate seit Beginn der Pandemie konnten daran nichts ändern. Wie immer wurden alle Teilnehmer*innen mit Zertifikaten und einem digitalen Jahresabo von Spektrum der Wissenschaft belohnt.

„Schüler wie diese sind nicht nur unsere Zukunft, sondern auch unsere Hoffnung“, so Dr. Thomas Eberle (Merck) zum Abschluss des 31. Erfinderlabors. Der nächste Workshop findet vom 11. bis 15. Juli in Marburg zum Thema „Erneuerbare Energien und Wasserstoff“ statt.

Das Erfinderlabor ist eine Workshop-Reihe des Zentrums für Chemie (ZFC). Seit 2004 entwickelt und organisiert der gemeinnützige Verein in Kooperation mit Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Verbänden, Stiftungen und Ministerien Projekte, um über die Vermittlung einer naturwissenschaftlichen Grundkompetenz hinaus gesellschaftlich relevante Themen wie Klimaschutz, Energiewende und Ressourceneffizienz in den Unterricht der MINT-Fächer Chemie, Physik, Mathematik, Biologie und Informatik zu integrieren und mit klassischen Unterrichtsinhalten zu verzahnen. Damit sollen fachliche Grundlagen für eine individuelle Meinungsbildung ermöglicht und Perspektiven für neue Berufsfelder konkret vermittelt werden.

Das Erfinderlabor ist Teil der ZFC-Initiative „Schule 3.0 – MINT for Future“. Ziel ist eine bessere berufliche Orientierung von Schülern im MINT-Umfeld mit den verzahnten Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik durch eine Einbindung gesellschaftsrelevanter naturwissenschaftlich-technischer Themen in den Regelunterricht.